Der Leistungsdruck in Deutschland ist hoch. Ein Ziel jagt das nächste: noch mehr Kunden, eine höhere Auslastung, ein Verdopplung des Umsatzes oder eine größere Stückzahl in weniger Zeit. Geht nicht noch mehr? Noch schneller oder noch weiter?
Bereits im Kindergarten sind Kinder heute oftmals einem hohen Leistungsdruck ausgesetzt. Bis zur Einschulung müssen sie perfekt ausmalen und gut ausschneiden können und erste Buchstaben und Zahlen kennen. Doch damit nicht genug. Heute beginnt die Förderung von Fremdsprachen im Kindergarten. Der Hintergedanke ist dabei positiv: spielerisches Lernen von Beginn an. Frei nach dem Motto: Was Hänschen nicht lernt, lernt Hans nimmer mehr. Doch neben der Vorbereitung auf die Schule steht auch der Schwimmkurs an, sehr jung soll auch das Skifahren gelernt werden und ein Instrument wäre auch nicht schlecht. Und schon ist er da: der Leistungsdruck. Kinder werden miteinander verglichen. Wer kann schon was und wer noch nicht?
Spätestens mit der Einschulung verschärft sich der Leistungsdruck. Es gibt Klassenziele und Vorgaben. Wer nicht mitkommt, wird zum Problem. Lesen können bis Weihnachten, Elterngespräche, weinende Smileys und oftmals verzweifelte Kinder. Die individuellen Stärken und Talente können im engen Fahrplan der Schule oft nicht berücksichtigt werden. Der Druck wächst gegen Ende der Grundschulzeit enorm, denn es muss entschieden werden welche Schulform die richtige ist. Und gerne würden alle auf die oberen Schulen gehen und nicht im Hauptschulzweig bleiben.
In den letzten Jahrzehnten scheint sich der berufliche Leistungsdruck enorm erhöht zu haben. Chefs und Unternehmen wollen immer mehr erreichen und besser werden und geben diesen Druck an alle Mitarbeiter weiter. Lob und Anerkennung für geleistetes bleiben oft aus. Wichtiger ist die Frage: Was können wir beim nächsten Mal noch besser machen? Wurde früher nach einem fertiggestellten Arbeitsergebnis noch zusammen gefeiert und durch geschnauft, steht heute das nächste Projekt schon mit Dringlichkeitsvermerken vor der Tür. Mitarbeiter sind gestresst, fühlen sich nicht wertgeschätzt und versuchen mit viel Aufwand und Kraft noch besser zu werden. Technischer Fortschritt bringt zudem viel Eile mit sich: E-Mails, Smartphones und Co. erhöhen die Kommunikationsmöglichkeiten und fordern eine schnellere Reaktion.
Nach der Arbeit könnte mit dem Leistungsdruck ja eigentlich Schluss sein. Mit Beginn des Feierabends sollte dieser verschwinden. Doch oft haben wir auch im Privaten viel Druck. Eigene Ziele, Perfektionismus und Erwartungen von Freunden und Familie sind hier die Ursache. Wir hetzen schnell zum Einkaufen, besorgen für Oma noch Getränkekisten, mähen den Rasen, kochen für die Familie und vieles mehr. Der Feierabend verdient seinen Namen heute oft nicht mehr.
Sehen wir uns in der Welt um stellen wir schnell fest, dass der Leistungsdruck nicht in allen Ländern und Gesellschaften gleich hoch ist. Deutschland steht mit an der Spitze der Leistungsgesellschaften. Die Deutschen sind bekannt für ihre Pünktlichkeit, Zuverlässigkeit und Qualität. Ein spanischer Handwerker kommt mit Glück am vereinbarten Tag, während der deutsche gut und gerne 5 Minuten früher erscheint. Ein hoher Leistungsdruck ist also ein Ausdruck einer leistungsorientierten Gesellschaft. Und in diese wachsen wir in Deutschland von Kindesbeinen an hinein und übernehmen Werte wie Zuverlässigkeit, Pünktlichkeit und Perfektion. Werte, die sicher positiv sind, aber auch zu übersteigerndem Leistungsdenken führen können.
Herzinfarkt, Burnout, Depression. Das sind nur die drei bekanntesten Folgen von zu hohem Leistungsdruck und dem damit verbundenen Stress. Körper und Seele leiden enorm unter Stress und Druck und die Entstehung vieler Krankheiten wird begünstigt. Bluthochdruck, Diabetes, Schlaganfall. Sogar Krebserkrankungen werden heute von der Wissenschaft mit einer hohen Stressbelastung in Verbindung gebracht. Die höchste Lebenserwartung haben in Europa die Schweizer und die Italiener. Und was haben diese beiden Länder gemeinsam? Die Gesellschaft ist ruhiger und gediegener. Es besteht weniger Leistungsdruck.
Wenn Du nicht gleich auswandern möchtest, wirst Du lernen müssen mit dem Leistungsdruck der deutschen Gesellschaft so umzugehen, dass kein gesundheitlicher Schaden entsteht. Ob und wann der gesellschaftlich verursachte Stress in Deutschland nachlässt, ist nämlich ungewiss. Deine Aufgabe ist also: Sei der kleine Italiener in Deutschland. Versuche gelassener mit den Anforderungen an Dich umzugehen. Hinterfrage den Druck, der auf Dich wirkt:
Und bei all dem Druck solltest Du nicht vergessen Dir genügend Zeit für Dich und Dein Leben zu nehmen. Hobbys, Sport, Erholung, soziale Kontakte und Ausgleich sind wichtig und gehören in der Prioritätenliste möglichst weit nach oben.